Flucht vom Friedhof der Dinge!

von Flemming N. Feß

Museum und Forschen

Schon seit Jahren, eher sogar seit mehreren Jahrzehnten, ist die Museumswelt in Aufregung. „Besucherschwund“ (damals noch ohne Genderstar o.ä.) lautet die Sorge. In einer Gesellschaft, in der laut Statistik rund 80% der Bevölkerung nie oder so gut wie nie in Museen gehen, ist diese Unruhe auch zu verstehen, schließlich geht es um die eigene Legitimation! Mit ganz verschiedenen Ansätzen wird versucht, neues Publikum zu generieren. Ein Schlagwort ist „Nichtbesucher-Forschung“, ein heißes Eisen in den letzten Jahren waren auch partizipative Formate – wobei hier die Meinungen über die Chancen zuweilen weit auseinandergehen.

Es ist sicher richtig: Die Zeiten, in denen Große Wissenschaftler (in diesem Bild vermutlich tatsächlich vornehmlich Männer) in Elfenbeintürmen Exponatzusammenstellungen ersinnen und sich herablassen, sie dem wissbegierigen Pöbel vorzuführen, sind lange vorbei – sofern es sie je gegeben hat. Und umso mehr ist es sicher überfällig, auch das anzusprechende Publikum in den Prozess der Themenentwicklung einzubeziehen. An welcher Stelle und wie viel, dazu wird viel geforscht und diskutiert.

Meines Erachtens geht die Krise der Museumswelt aber noch tiefer. Es geht nicht nur darum, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Es geht auch darum, die eigene Verortung in einer gewandelten Welt zu erkennen! Was sind Museen? Traditionell sind es Orte der Begegnung mit Originalen. Mit Kunstwerken oder mit historischen Artefakten unterschiedlichster Themen. Institutionen, in denen wir über diese Objekte Neues erfahren und dabei eben auch die ‚Aura‘ des Originals metaphysisch spüren können (sofern man für sowas empfänglich ist). Damit sind sie eben auch eine Antwort auf den vom Kulturkritiker Walter Benjamin Anfang des 20. Jahrhunderts befürchteten Verlust dieser Aura des „Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Orte der Stillen Begegnung also?

Es stimmt, im Museum sind die Objekte als Exponate stillgestellt – oft hinter Glas in Vitrinen, erhaben, aber eben von ihrer eigentlichen Funktionalität abgeschnitten und unnahbar. Regelrecht tot. Schon in den 1960er Jahren formulierte Theodor W. Adorno, seinerzeit einer der führenden deutschen Intellektuellen: „Museum und Mausoleum verbindet nicht nur eine phonetische Assoziation.“

Vielleicht liegt gerade hier der Hund begraben (kein Wortspiel beabsichtigt). Klar können Museen so als ruhige Rückzugsorte gegenüber einer immer schnelllebigeren Welt dienen. Aber geht man dafür auf einen Friedhof der Dinge? Wir alle erleben – sofern uns nicht gerade eine Pandemie zur Entschleunigung drängt – geradezu Freizeitstress im Überangebot der Möglichkeiten. Der Museumsbesuch steht dabei in direkter Konkurrenz zu Konzerten, Kino, Theater, aber eben auch Freizeitparks, einem Cafébesuch oder einem Spielenachmittag mit Freunden oder – für Eltern – einem Nachmittag auf dem Spielplatz. Wie viele Menschen sind tatsächlich bereit, auf einen Teil dieser anderen verlockenden Optionen zu verzichten, um sich ‚erbauen und belehren‘ zu lassen?

Hat das Museum also ausgedient? Ist es das Relikt einer vergangenen Zeit, in der humanistische Bildung den Menschen wichtiger zu sein schien als Spannung, Spaß und Spiel? Ich teile Adornos Kulturpessimismus nicht. Als Museumsmensch wäre das ja für mein Berufsethos auch ziemlich fatal. Ich glaube, das Alleinstellungsmerkmal, Begegnungen mit Originalen zu ermöglichen, ist zeitlos. Aber ich glaube gleichzeitig auch, dass ein fundamentales Umdenken nötig ist. Noch wichtiger, als die Inhalte ausschließlich von vermeintlichen oder echten Erkenntnissen über die erhofften Besucher:innen diktieren zu lassen und die Hoffnung auf wissenschaftlichen Anspruch komplett zu verwerfen, sollte das Museum sich selbst erkennen: als Medium! Als Angebot der Wissensvermittlung, aber auch der Unterhaltung. Natürlich gibt es auch Menschen, die Fachbücher in ihrer Freizeit lesen. Aber von denen allein könnte auch kein Buchverlag überleben. Wenn Museen also nicht ausschließlich als außerschulische Lernorte Torturen für Schüler:innen vor Glasscheiben („Nichts anfassen!“) sein wollen, sondern auf dem Markt der Freizeitmöglichkeiten eine attraktive Ware, ist die Art der Präsentation der entscheidende Schlüssel.

Denn seien wir ehrlich: Echten Porzellanfans mag bei Reihen über Reihen von Blumenvasen, Schmucktellern und Co das Herz aufgehen, aber dem Durchschnitt der Bevölkerung sind diese Objekte so lange schnuppe, wie sie nichts erzählen. Unterhaltung hat auch immer etwas mit Involviertheit zu tun. Da dies vor allem über Narrative mit nachvollziehbaren Protagonist:innen erfolgen kann – nicht umsonst stellen uns auch Reportagen im Fernsehen immer Einzelschicksale vor, auch wenn sie Themen behandeln, die große Gruppen von Menschen betreffen – liegt hier, so denke ich, der wesentliche Schlüssel zu gelungener Vermittlung. Wenn wir einem roten Faden durch die Ausstellung folgen können, anhand dessen die Exponate zu Protagonisten werden können, können wir mit den Objekten etwas anfangen. Dann können sie selbst stillgestellt wieder zum Leben erwachen und uns etwas erzählen. Dann ist das Museum kein Friedhof mehr, dann wird es zum Erlebnisort!

Flemming N. Feß

Flemming N. Feß ist auf seinem Lebensweg schon weit in Deutschland herumgekommen. Im kult Westmünsterland ist er als Kurator für Sonderausstellungen zuständig. Den gebürtigen Schleswig-Holsteiner begeistert alles, was eine spannende Geschichte erzählt. Seine Freizeit verbringt er bevorzugt im Kino – oder mit einem guten Buch. Wenn er sich aber nicht gerade in ferne Welten entführen lässt, erkundet der Medienwissenschaftler und Historiker gerne in guter Gesellschaft unterschiedlichste Craftbeer-Stile. Als Liebhaber von Puppentrick ist er zudem die Hand und Stimme hinter der Sockenpuppe Rock McSock.

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