Schreibtischscharmützel I: Körperlose Unterhaltung

von Flemming N. Feß und Gregor Greve

Schreibtsichscharmützel   Kultur und Leben

Die größten Erkenntnisse entstehen im Austausch miteinander, das wussten schon die alten Griechen. Zwar können unsere Autoren kein altgriechisch, aber diskutieren, das bekommen sie hin. Seit mehreren Jahren sitzen und arbeiten Flemming N. Feß und Gregor Greve Schreibtisch an Schreibtisch im kult Westmünsterland. Klar, dass dabei auch manchmal hitzig diskutiert wird. Mit „Schreibtischscharmützel“ bekommt die Kulturachse nun ein neues Format. Zunächst als Experiment wollen die beiden Sie, als Leser:innen, an einem virtuellen Bürogespräch teilhaben lassen, dessen Ausgang – wie der vieler Bürogespräche – ungewiss ist.

Ihr Thema heute: Freuden und Leid von Streaming, E-Book und Media-Download.

Hallo Gregor. Es ist ja schon etwas ungewohnt, diesmal so „vor Zeugen“. Finde ich gut, dass wir es mal ausprobieren mit diesem neuen Diskussionsformat. Hoffentlich rät man uns hinterher nicht, doch lieber wieder hinter geschlossenen Türen unseren Quatsch von uns zu geben! Also: Mir brennt ein Thema unter den Nägeln. Neulich wollte ich auf dem Streaming-Dienst dieses großen Onlineanbieters (dessen Name latent an einen Fluss in Südamerika oder an bestimmte Frauenfiguren der griechischen Mythologie erinnert) einen Film gucken und musste mal wieder feststellen – der ist nicht inklusive, sondern kostet nochmal extra. Das hat mich aufgeregt. Da zahle ich nicht nur die normale Gebühr, ich soll dann sogar noch draufzahlen, um einen bestimmten Inhalt sehen zu dürfen. Und dann habe ich es gesehen und dann habe ich für mein Geld nichts – nichts fürs Regal und auch keine Garantie, dass ich in zehn Jahren, wenn ich ihn dann noch mal sehen will, nicht plötzlich merke, dass der Kauf erloschen ist oder sowas. Ich meine, es ist jedenfalls kein haptischer Gegenwert für mein Geld. Das nervt mich.

Hallo Flemming, es ist in der Tat ist etwas ungewohnt, eine unserer Diskussionen vor Publikum auszufechten. Wem dies nicht gefällt, kann ja aber auch spätestens nach deinen ersten Sätzen aufhören zu lesen. Streamingdienst? Fluss in Südamerika? Ich wusste gar nicht, dass es einen Fluss mit dem Namen „Disney+“ in Südamerika gibt.  Scherz beiseite – was ich allerdings nicht verstehe ist, warum du dich jetzt so über Gegebenheiten aufregst, die 1.) weit in der Zukunft liegen (wann möchte man denn bitteschön einen Film, den man gerade erst gesehen hat noch einmal schauen) und die 2.) eventuell  niemals eintreten werden (wer verzichtet schon gern auf kostenfreie und schnelle Zustellung). Sowieso bin ich irritiert darüber, solche streaming-feindlichen Aussagen von einem Vertreter deiner Generation zu vernehmen. Ihr seid doch angeblich die Digital Natives!

Wie Evelyn Hamann sagte: „Da regt mich ja schon die Frage auf“ - von einem Vertreter meiner Generation! Ich bin ja nicht der Generationssprecher! Der Fluss in Südamerika wird dann wohl jener sein, auf dem Mickey Mouse 1928 als „Steamboat Willie“ seinen ersten Auftritt hatte? Aber lassen wir das. Ich finde schon, dass der Blick in die Zukunft nicht ganz egal ist. Denk doch mal so: Du hast ja in deinem Leben schon einige Winter mehr gesehen als ich. Lassen wir mal kurz das Filmstreaming beiseite und gehen zu E-Books. Da ist es doch das Gleiche! Du kaufst ein Buch, aber eigentlich kaufst du nur den Zugriff auf einen Datensatz, für dessen langfristige Wartung dir keiner garantiert und zu dem du keinen Zugriff mehr hast, wenn du dein Kundenkonto bei dem entsprechenden Anbieter irgendwann kündigst. Dann ist da plötzlich der Ofen aus. Ein Buch, das du dir vielleicht vor 40 Jahren gekauft hast, steht (wenn du es nicht bei einem Umzug weggeschmissen hast) immer noch irgendwo in deinem Haus rum, auch wenn der Verlag längst pleite und der Buchladen, in dem du es erworben hast, inzwischen ein Massagestudio geworden ist. Sowas kann dir doch bei gestreamten oder als Datensatz „gekauften“ Medien niemand garantieren … Und so abwegig finde ich den Gedanken nicht, dass man etwas nochmal wieder lesen, schauen oder – im Falle von Musik – hören will. Oder denkst du dir „Star Wars, hab ich schon gesehen. Brauche ich nie wieder“? Naja, du denkst vermutlich „Krieg der Sterne“ …

Jetzt ziehst du auch noch das gute alte Jodeldiplom in dieses Gespräch hinein. Na ja, du musst ja wissen, was du tust. Zu Steamboat Willie: Touché – es freut mich, dass es noch Menschen gibt, die Kinofilme von Anfang bis Ende aufmerksam rezipieren – inkl. aller Produktionsfirmen-Trailer …

Ich gebe dir Recht, wir schweifen ab. Es ist richtig, dass ich noch in analogen Zeiten aufwuchs, aber dass du das jetzt herausholst, um die Brücke zu Büchern zu schlagen, finde ich schon bemerkenswert. Soweit ich weiß, hast Du  in der Schule und im Studium ebenfalls noch mit Büchern gearbeitet und liest zudem selbst gern in dicken Schmökern. Ich mag mich täuschen, allerdings habe ich E-Books immer so verstanden und ab und an erworben, dass ich mir in einer Online-Buchhandlung meiner Wahl ein E-Book kaufe, welches mir dann zum Lesen und darüber hinaus als pdf zur Verfügung steht. Je nachdem, wie gut ich Back-ups an meinem Computer mache, bin ich dann nahezu unendlich lang Besitzer dieses digitalen Buches – ohne den hinderlichen Platzbedarf. Sprechen wir hingegen von den Angeboten diverser Streaming-Anbieter, ist es schon so, dass so einiges mit dem E-Book (oder dem Unternehmen) passieren kann, allerdings – so meine Meinung – ist eine solch pessimistische Zukunftsaussicht für einen selbst eher hinderlich. Du hast Recht, auch nach 40 Jahren ist man noch stolzer Besitzer eines analogen Buches, welches dann bei Vielen, inklusive mir selbst, langsam auf dem Dachboden seinem weltlichen Ende entgegensieht oder traurig in einer Bücher-Telefonzelle irgendwo in Deutschland auf einen neuen Besitzer wartet.

So, „Krieg der Sterne“ war jetzt die zweite vermeintlich witzige Anspielung auf mein fortgeschrittenes Alter. Ich zitiere an dieser Stelle den großartigen Luis Buñuel: „Age is something that doesn’t matter, unless you are a cheese“. Dem ist eigentlich an dieser Stelle auch nichts mehr hinzuzufügen. Allerdings, mit der Erfahrung meiner vielen Winter, bin ich froh darüber, dass das Angebot an Streaming Diensten immer größer wird. Bei 90% der Filme bin ich lediglich an einer einmaligen Betrachtung interessiert. Jetzt kann ich für den Preis einer einzelnen „hard-copy“ (wie DVD oder Blu-Ray) einen ganzen Monat Filme sehen, die ich a.) eventuell vielleicht schon immer einmal mal sehen wollte oder b.) die ich eigentlich nicht sehen wollte, es aber jetzt kann, da es keinerlei „Mehrkosten“ verursacht. Du musst zugeben: ein echter Mehrwert…

Dudödeldi, mein Guter! Deine Argumentation scheint bestechend. Die Frage ist hier, ob es sich nicht eher wie bei Herrn Turtur verhält und nur so scheint! Natürlich hast du recht, dass viele Bücher, Tonträger, DVDs und Co Platz brauchen und das zu echten Problemen führen kann – vor allem, wenn man umzieht und mal wieder mehr als 100 Umzugskartons füllen muss, die aber bloß nicht zu schwer werden dürfen. Und natürlich ist das Angebot bei Streaming ungleich viel größer und bietet die Möglichkeit, viel mehr zu sehen … Ich will das ja auch nicht alles per se für schlecht erklären. Ich selber bin schließlich auch Kunde diverser Plattformen, habe einen E-Book-Reader und lade mir Musik und Hörbücher als mp3s auf meine mobilen Endgeräte, wenn ich sie nicht direkt streame. Das verfehlt aber das, worum es mir hier geht. Und ich finde schon, dass man auch die Zukunft im Blick behalten muss. Ich persönlich habe einige Filme und auch Bücher, die ich alle paar Jahre wieder rezipiere. Die Plattformen verändern beständig ihr Angebot, da ist keine Garantie, dass, selbst wenn die Plattformen die Jahre überdauern – und ich denke, jeder erinnert sich an frühere Internet-Riesen, die es irgendwann plötzlich nicht mehr waren – das jeweilige Produkt noch da ist. Und zusätzlich ändern sich Formate ständig. Irgendwann könnte dein tolles abgespeichertes und durch Back-ups gesichertes Dokument einfach trotzdem unlesbar geworden sein. Das Internet vergisst nicht, aber die Technologie ist schnelllebig und hat deswegen eben auch viel kürzere Lebenszyklen. Das ist eben Fluch und Segen zugleich. Ich finde es ja auch nicht falsch, Streamingdienste wie früher Videotheken (oder Büchereien) zu verstehen. Man zahlt die Mitgliedsgebühr und darf dafür etwas entleihen, du eben in deiner Jugend Videokassetten und ich DVDs. In dem Vergleich wird ein Schuh draus und die Sache stimmig. Das ist ein fairer Deal. Aber wenn man die Mitgliedsgebühr schon bezahlt hat, für einige Inhalte nochmal draufzahlen zu müssen, weil sie „VIP“ sind oder weil sie einfach aufgrund irgendeiner intransparenten Logik nicht inklusive, das finde ich nicht richtig. Denn man kauft  eben nicht das Produkt, sondern nur das Nutzungsrecht. Es ist eine Miete. Und im Falle von E-Books kommt dann die Inkompatibilität der Formate dazu. Wenn ich bei diesem Internetriesen, dessen Name nicht genannt werden darf (Nein, ich kaufe keine E-Books bei Lord Voldemort, um dem Witz vorzugreifen), ein E-Book erwerbe, dann ist das mit meinem Kundenkonto verknüpft. Verleihen? Pustekuchen. Weiterverschenken? Nö. Es ist ein Nutzungsrecht, kein Besitz. Das finde ich nicht gut gelöst und kein Ersatz für das Andere, mehr sage ich ja nicht. Und außerdem, das habe ich ja hier an anderer Stelle schon deutlich gemacht, machen unsere Mediensammlungen unser Zuhause ja auch irgendwie zu einer Art physischem Spiegel unserer selbst und lassen uns geborgen und Zuhause fühlen. Ich weiß nicht, wie dir das geht, aber mein E-Book-Reader und mein Wlan-Router haben auf mich nicht so eine Wirkung …

Damit man etwas Eigenes hat! Du hast ja recht – auch wenn ich an dieser Stelle nur noch einmal ausdrücklich betonen möchte, dass nicht derjenige mehr Recht hat, der mehr schreibt …

Gerade in Hinblick auf Qualität kommen so manche digitalen Online-Streaming-Angebote nicht mit. Ich denke da vor allem an die Ödnis im Bereich 4k, wo gerade die bekannten Dienste zum Teil noch erhebliche Defizite aufweisen.  Und ja, ein Back-up kann einem den Dienst verweigern und das digitale Buch unleserlich machen. Allerdings kann dies natürlich auch ein Wasserschaden, Brand oder hungriges Ungeziefer einem „analogen“ Buch antun. Auch wenn es mir ein wenig schwerfällt, muss ich an dieser Stelle zugeben, dass auch für mich der optische Reiz eines Routers stark begrenzt ist und damit nicht wirklich ein Gegenstand, den man gern um sich hat  (ausgenommen man leidet an Objektophilie).

Wir beide können vortrefflich hin- und her argumentieren, an der Gesamtsituation ändert es allerdings nichts. Ich denke, dass sich sowohl analoge als auch digitale Angebote zumindest in unserer Lebensspanne – und an dieser Stelle bitte keinen weiteren ambitionierten schlechten Scherz über mein Alter und die Wahrscheinlichkeit meines früheren Ablebens – weiter halten werden. Ob man dies jetzt gut oder schlecht findet spiegelt sich höchstens in den Verkaufszahlen wider und beeinflusst so natürlich kurz oder lang die gesamte Entwicklung. An dieser Stelle noch eine kleine bemerkenswerte Randbemerkung über die Akzeptanz von digitalen Helfern: Laut einer neuen Studie aus den USA nutzen schon 25% der Käufer:innen die berühmteste Sprachassistentin nach einer Woche nicht mehr … ein Umstand, über den sich nachzudenken lohnt (oder eventuell Basis einer neuen Unterhaltung?) 

Oha, sind wir etwa auf einer Position angekommen, der wir beide zustimmen können? Erstaunlich! Nichts läge mir ferner, als auf die relative Kürze deiner verbleibenden Zeit vor dem Eintritt in die Ewigen Jagdgründe anzuspielen – ich hoffe doch, dieser Tag ist noch fern! Vermutlich hast du recht, wir beide werden das Aussterben physischer Informationsträger nicht erleben. Ich glaube ja, hier stimmt das alte Credo der Medienwissenschaften: Neue Medien verdrängen die alten nicht, sie verändern sie nur. Ich denke auch, dass wir langfristig ein Nebeneinander behalten werden. Und das ist schließlich auch gut so – in den Urlaub kann man mit leichtem Lesegepäck und man muss nicht raus in die Kälte, um einen neuen Film zu sehen. Aber wenn man dann doch Qualität oder haptisches Erlebnis will, kann ich immer noch ins Regal greifen.

Und es stimmt natürlich auch, dass viele Worte nicht durch ihre Menge zur Wahrheit werden! In diesem Sinne lassen wir es doch mit deiner bemerkenswerten Bemerkung bewenden und freuen uns auf das nächste Mal. Danke für das gute Gespräch!

Der Dank für dieses anregende „Schrift-Gespräch“ ist ganz auf meiner Seite. Ich möchte schließen mit einem Zitat Friedrich II. von Preußen „Jeder soll seine eigene Meinung behalten und die der anderen respektieren. Das ist das einzige Mittel, in Frieden zu leben.“ Worte, die auch nach über 240 Jahren ihre Gültigkeit haben … Ich freue mich schon auf unseren nächsten diskursiven Meinungsaustausch!

Flemming N. Feß

Flemming N. Feß ist auf seinem Lebensweg schon weit in Deutschland herumgekommen. Im kult Westmünsterland ist er als Kurator für Sonderausstellungen zuständig. Den gebürtigen Schleswig-Holsteiner begeistert alles, was eine spannende Geschichte erzählt. Seine Freizeit verbringt er bevorzugt im Kino – oder mit einem guten Buch. Wenn er sich aber nicht gerade in ferne Welten entführen lässt, erkundet der Medienwissenschaftler und Historiker gerne in guter Gesellschaft unterschiedlichste Craftbeer-Stile. Als Liebhaber von Puppentrick ist er zudem die Hand und Stimme hinter der Sockenpuppe Rock McSock.

Gregor Greve

Nach verschiedenen Stationen an deutschen Museen hat es den gebürtigen Kieler ins Münsterland verschlagen. Neben der Betrachtung und Analyse guter Filme ist das Filmemachen eine seiner Leidenschaften. So ist es nicht verwunderlich, dass der Anglist und Medienwissenschaftler der Mann hinter der Kamera des kult-YouTube-Stars Rock McSock ist. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit dem Sammeln (und Spielen) von E-Gitarren, der Unterstützung seines Heimatvereins Holstein Kiel und Konzertbesuchen verschiedenster Stilrichtungen.

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