Äther ist nicht schleimig
von Flemming N. FeßKultur und Leben

Vor kurzem durfte ich in Bocholt einen Vortrag zur Frühzeit des Radios halten. Auf der Suche nach einem geeigneten Titel kam ich schließlich auf „Über den Äther angebunden“. Zugegeben, es ist vielleicht nicht der stärkste Vortragstitel, den jemals jemand gefunden hat, aber ich fand ihn passend, ein Wortspiel mit einer gängigen Metapher für den Rundfunk. „Über den Äther schicken“, sagen manche, wenn sie ‚im Radio senden' meinen. Als ich dieses Sprichwort als Kind zum ersten Mal gehört habe, habe ich - daran erinnere ich mich genau - wegen der klanglichen Ähnlichkeit mit Eiter an irgendwas Schleimiges, Sekretartiges gedacht. Und ich habe mich gefragt, warum die Erwachsenen so ein ekelhaftes Bild für den Kasten, aus dem die Musik kommt, verwenden.
Wir alle benutzen im Alltag unglaublich viele Sprachbilder. Oft sogar, ohne es selber zu merken. Bei den meisten haben wir uns noch nie gefragt, wo sie eigentlich herkommen und was sie bedeuten: Sein Licht unter den Scheffel stellen; bei seinem Leisten bleiben; Eulen nach Athen tragen; von Hölzchen auf Stöckchen kommen ... na gut, zumindest das letzte ist nicht wirklich erklärungsbedürftig.
Aber wie sieht es mit dem Äther aus? Wer weiß schon, was es damit auf sich hat? Dabei ist der ideengeschichtliche Hintergrund dieses Sprachbildes höchst spannend und zeigt sehr deutlich einen Zeitgeist, bzw. die Gedankenwelt der Zeitgenoss:innen dieser Metapher.
Der Begriff ‚Äther' hat schon eine lange Geschichte auf dem Buckel und meint, hier muss ich mein kindliches Selbst nachträglich berichtigen, absolut nichts Klebrig-ekliges. Der Begriff bedeutet wörtlich übersetzt ‚blauer Himmel' und stammt ursprünglich von Aristoteles. Er bezeichnete damit ein angenommenes fünftes Element (neben Feuer, Wasser, Erde und Luft), eine unwandelbare, unveränderliche Kraft. Ein anderes Wort - diesmal nicht griechisch, sondern Latein - für dieses fünfte Element war übrigens Quintessenz (wörtlich: fünftes Element). In der Alchemie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit wurde der Begriff dann mit viel Mystik aufgeladen und zu einem sagenhaften Grundstoff, den es für das, was Alchemie so wollte, wie ewige Jugend erreichen oder Gold erschaffen, zu finden galt, ein Universalheilmittel.
Von dort und mit Rückgriff auf Aristoteles fand der Begriff schließlich auch Anwendung in der theoretischen Physik ab dem 17. Jahrhundert. Hier wurde dieses Element zum vermuteten Trägermedium für das Licht, in der weiteren Entwicklung auch für andere ungreifbare, nicht stoffliche Phänomene. Etwas Mystisches, das erklären könnte, wie sich diese Dinge ausbreiten können. In dieser Bedeutung lässt beispielsweise auch Goethe seinen Faust den Äther suchen.
Die Physik hat sich letztendlich von dieser Theorie verabschieden müssen. Aber in der Idee eines magisch-mystischen Elements lebte der Äther trotzdem weiter - und bot sich so geradezu als Metapher an, als Anfang des 20. Jahrhunderts die Funktechnologie erfunden wurde. Auch hier wurden ja Dinge - in dem Fall Schallwellen - ohne sichtbares Trägermedium transportiert. Einfach so, wie Zauberei! Genau wie beim Äther quasi.
Dass die Menschen um die letzte Jahrhundertwende Elektrizität insgesamt und elektrische Informationstechnologie im Besonderen irgendwie mit Magie verbanden, zeigt noch ein anderes Beispiel der Sprache: das Wort ‚Medium'. Es ist ein Teekesselchen, das sowohl Technologien und Techniken der Informationsvermittlung meint wie auch Menschen, die (ob nun tatsächlich oder vorgeblich ist wohl eine Glaubensfrage) Kontakt zu Verstorbenen aufnehmen.
Der Begriff Äther übrigens hat noch an anderen Stellen bis heute überlebt: bei ätherischen Ölen (die ja heilsam sein sollen) zum Beispiel, aber auch bei der chemischen Stoffgruppe ‚Ether', bei denen es sich um Sauerstoffverbindungen handelt (Herleitung Sauerstoff - Luft - nicht greifbar).
Hätte mir das mal schon jemand erklärt, als ich Kind war. (Hätte ich mal gefragt!) Zauberei findet schließlich jedes Kind cool. Jedenfalls hätte mir das sicher zumindest dieses eklige Äther-Eiter-Kopfkino erspart.
Übrigens: Der eingangs erwähnte Vortrag wurde mitgeschnitten und ist hier online bei der Stadt Bocholt zu sehen.
Flemming N. Feß
Flemming N. Feß ist auf seinem Lebensweg schon weit in Deutschland herumgekommen. Im kult Westmünsterland ist er als Kurator für Sonderausstellungen zuständig. Den gebürtigen Schleswig-Holsteiner begeistert alles, was eine spannende Geschichte erzählt. Seine Freizeit verbringt er bevorzugt im Kino – oder mit einem guten Buch. Wenn er sich aber nicht gerade in ferne Welten entführen lässt, erkundet der Medienwissenschaftler und Historiker gerne in guter Gesellschaft unterschiedlichste Craftbeer-Stile. Als Liebhaber von Puppentrick ist er zudem die Hand und Stimme hinter der Sockenpuppe Rock McSock.
