„Essen auf Rädern deluxe“
von Nadine SchoberKultur und Leben Heimat und Region

Der pandemiebedingte Verzicht in vielerlei Hinsicht beförderte in einigen Bereichen auch recht kreative Auswüchse, um wenigstens für kurze Momente aus dem verkleinerten Kosmos der Möglichkeiten auszubrechen. Eines davon war der Restaurantbesuch im Wohnmobil, von dem mir eine Kollegin erzählte. Da die Menschen nicht mehr ins Restaurant gehen durften, kamen sie quasi mit ihrem eigenen ‚Tisch auf Rädern' vorgefahren und konnten so in wohlgeordneter Trennung nach Haushalten deliziös bekocht werden. Manchmal brachte das sogar, wie in diesem Fall am Raesfelder Schloss, den Vorteil mit sich, dass der passende Ausblick zum Festschmaus, im Gegensatz zum Restaurantbesuch in ‚Vorcoronazeiten', selbst ausgesucht werden konnte. Im Wohnmobil hat jeder einen Fensterplatz und mit Blick in einen Park oder auf ein Schloss diniert es sich doch gleich noch exklusiver. Hinzu kommt, dass auch das Ambiente im ‚Esszimmer' ganz individuell gestaltet werden kann – angefangen bei der Musikauswahl, über die Tischdekoration bis hin zum eigenen Outfit (das wählt man sonst natürlich auch selbst, aber hier ist es fast egal, wie man sich kleidet). Ein zusätzlicher Vorteil: Keiner schaut einem auf den Teller. Als ich davon hörte, war ich schon ein wenig neidisch. Zumal ich mir ausmalte, dass sich in diesem Fall auch niemand an den nicht immer ganz gesellschaftsfähigen Tischmanieren meiner kleinen Tochter stören würde – Entspannung pur für alle Beteiligten.
Bei meiner Kollegin führte das sofort zu ersten Überlegungen eines privaten Wohnmobil-Vermietungsservices, der ihre Reisekasse ein wenig auffüllen könnte. Pandemiebedingt waren Wohnmobile heiß begehrt und selbst second-hand nicht mehr so leicht zu beschaffen. Kurzfristig wäre das sicherlich eine lukrative Geschäftsidee gewesen – doch die Bequemlichkeit siegte am Ende.
Wenn im Bekanntenkreis bereits weitere Wohnmobilfreund:innen vorhanden waren, ließ sich der ganze Spaß eines Wohnmobil-Dinners sogar auf ein Treffen auf Distanz ausweiten. Ich stelle mir da einen kleinen Wohnmobil-Halbkreis vor mit offenen Türen, verhaltenem Zuwinken und Freude über ein Wiedersehen – nur eine ‚transMobile' Unterhaltung könnte dabei vielleicht doch etwas schwierig werden.
Und was machen die Wohnmobillosen oder die bei dem pandemiebedingten ‚Run' auf Wohnmobile auf einer langen Warteliste gelandet waren? Auch dazu berichtete mir meine Kollegin von einer Lösung. Ein junges Pärchen kam am Raesfelder Schloss mit einem Lieferwagen vorgefahren. Die beiden Hecktüren wurden aufgestellt und der anscheinend kurzerhand ausgeräumte und leergefegte Transporter gab den Blick auf ein komplettes Camingtischensemble frei – spartanisch aber wirkungsvoll. Auch nicht schlecht, dachte ich und hatte nun das Bild von Transportern statt Wohnmobilen im Halbkreis vor mir. Über weit geöffnete Hecktüren wäre sogar eine nahezu normale Unterhaltung möglich, nur die Aussicht ins Grüne ließe dann etwas zu wünschen übrig. Hier müssten dann Prioritäten gesetzt werden: schöne Aussicht oder Freunde wiedersehen …
Zurückgeworfen auf sich selbst und seinen eigenen Hausstand hat die Pandemie uns sicher gelehrt, auch im Kleinen wieder Vergnügen zu finden und seltene außergewöhnliche Momente bewusster zu genießen. Man konnte ja schließlich nie wissen, wann sich die nächste Möglichkeit dazu ergeben würde. Bleibt zu hoffen, dass wir uns diese Einstellung auch darüber hinaus noch eine Weile bewahren können …
Nadine Schober
Nadine Schober nahm über das Haldern-Pop-Festival 2006 Fühlung mit der Region auf. Zwei Jahre später startete sie nach ihrem Studium in Hamburg ihr Volontariat im Bocholter Textilmuseum. Nach gut einem Jahrzehnt hat sie dieses Fleckchen Erde zu schätzen gelernt. Vor allem Grenzregionen wecken das Interesse der Ethnologin. Die gebürtige Mecklenburgerin wagt dabei stets einen Blick über den Tellerrand. Ob Kulinarisches, sprachliche Eigenheiten oder Ökolandbau – ihre Interessen sind breit gefächert. Poetry Slam, Street Art und Flohmärkte lassen ihr Herz höherschlagen. Im kult Westmünsterland arbeitet sie im Archivteam des historischen Archivs und im Kreisarchiv Borken.
