Gegen das Vergessen
von Theresa ConnemannKultur und Leben

Abends auf dem Sofa scrolle ich ein wenig durch meinen Instagram-Feed. Unzählige Bilder ziehen vor meinen Augen vorbei: weit entfernte Orte, leckeres Essen oder Influencer:innen, die durch Produktplatzierung Werbung machen. Dann ein dunkles Bild mit weißer Schrift. „Ich bin Sophie Scholl“ steht dort in weißen Großbuchstaben. Schnell ist das Bild wieder zwischen den anderen verschwunden. Ich stutze. „Ich bin Sophie Scholl? Wer hat sich denn diesen Account ausgedacht?“, denke ich und versuche es in der Flut aus Fotos wiederzufinden. Nervosität macht sich in mir breit. Plötzlich fühle ich mich an die Querdenkerdemos und besonders an „Jana aus Kassel“ erinnert, die sich selbst mit eben dieser Widerstandskämpferin verglich. Es fühlt sich für mich nicht richtig an, sich mit solch einer geschichtlich wichtigen Person in Relation zu setzen.
Einige Sekunden später habe ich es wieder vor mir. Mit großer Neugier durchforste ich das Profil. Es ist nicht, wie zuerst befürchtet, ein geschmackloser Fakeaccount, sondern offenbar ein Stück Geschichtsvermittlung. In einer Kooperation aus SWR und BR wird die Widerstandskämpferin, verkörpert von Schauspielerin Luna Wedler, ins Hier und Jetzt geholt.
In Echtzeit können die Follower:innen Sophie Scholl von dem Moment an begleiten, an dem sie in München aus dem Zug steigt und ihren Bruder Hans wieder in die Arme schließen kann. Im weiteren Verlauf informiert uns die 21-jährige Studentin täglich über alles, was in ihrem Leben so passiert. Wir knüpfen mit ihr zusammen neue Kontakte, erfahren, welche Themen im Unterricht behandelt werden und bekommen dabei einen Einblick in ihre Sicht zur Weltanschauung der Nationalsozialisten. In regelmäßigen Abständen postet Sophie auf ihrem Instagram-Profil Bilder oder Videos und hält dabei ihre Meinung auch nicht zurück.
Seit ich dem Account folge bin begeistert vom täglichen Content. Ich habe das Gefühl, an den Geschehnissen in Sophies Leben teilzuhaben und sie direkt mitzuerleben. Vor allem hat es mir die Idee angetan, historische Persönlichkeiten mit der Technik von heute ins 21. Jahrhundert zu holen. Wir alle haben von Sophie Scholl und der Weißen Rose im Geschichtsunterricht gehört, aber so richtig nachempfinden konnten wir es bisher wohl nicht. Gerade deshalb finde ich die Idee grandios, geschichtliche Schlüsselfiguren über die sozialen Netzwerke wieder lebendig werden zu lassen. Durch Instagram als Plattform werden Berührungspunkte für Jugendliche und junge Erwachsene geschaffen. Sie können sich dadurch viel leichter mit der Person der Sophie Scholl und den damaligen Geschehnissen auseinandersetzen. Das Format Instagram ist eben auch anders als eine filmische Dokumentation, weil es ein Medium des alltäglichen Gebrauchs ist. Die gezeigten Inhalte wirken lebendiger und realitätsnäher als es ein Geschichtsbuch je zeigen könnte, da alles quasi in Echtzeit mit Sophie miterlebt wird. Es macht das Lernen um ein Vielfaches leichter. Durch die emotionale Ansprache in der eigenen Lebenswelt erscheinen die Themen viel emotionaler und relevanter.
Insbesondere bei einem Thema wie dem Nationalsozialismus ist es sehr wichtig, dass wir nicht vergessen. Die Zahl der Zeitzeugen, die mit ihren eigenen Worten erzählen können, was sie erlebt und gesehen haben, sinkt. Auch wenn wir als Generation keinen direkten Anteil an dem haben, was damals passiert ist, ist es dennoch wichtig daran zu erinnern.
Theresa Connemann
Theresa Connemann schloss im Sommer 2018 ihre Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (Fachrichtung Bibliothek) ab. Nach einem kurzen Abstecher in den Buchhandel arbeitet sie nun seit November 2019 für das kult Westmünsterland in Archiv und Bibliothek. In ihrer Freizeit liebt es die gebürtige Emsländerin hinter Buchseiten abzutauchen oder selber Geschichten zu schreiben. Wenn die FaMI nicht gerade versucht, einen Roman innerhalb eines Tages zu lesen, liebt sie es sich mit Freunden zu treffen oder Zeit mit der Familie zu verbringen und Monopoly zu spielen.

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