Im Dunkeln ist gut munkeln
von Flemming N. FeßKultur und Leben Museum und Forschen

„Im Rampenlicht stehen“ ist ein geflügeltes Wort. Dieses Sprichwort kommt natürlich aus dem Theater. In einer Zeit vor den elektrischen und schwenkbaren Scheinwerfern waren an der Rampe, also der Bühnenkante zum Zuschauerraum, die Lichtquellen angebracht, welche die Bühne erhellten. Und auch wenn die Rampe inzwischen in der Theaterwelt meist ohne Lichter auskommt, zeigt schon dieses Sprichwort deutlich: Das Licht im Theater ist nicht nur dazu da, damit man schnöde etwas sehen kann. Sonst hätte man ja einfach die normale Saalbeleuchtung nutzen können.
Licht und Dunkelheit haben eine besondere Macht über uns. Nicht zufällig beginnt auch die Bibel damit, dass Gott ganz am Anfang sagt „Es werde Licht“. Das Licht ist fundamental. Kein Licht, keine Welt. Das gilt nicht nur für die Schöpfung, auch für alle ‚Zweitschöpfungen‘, wie der Philologe (und weltberühmte Fantasy-Schriftsteller) J.R.R. Tolkien künstlerisches und literarisches Erzählen definiert – also eben auch für „die Bretter, die die Welt bedeuten“. Hat nicht schon Shakespeare gesagt „Die Welt ist eine Bühne“?
Viele kleinen Kinder können in der Dunkelheit alleine nicht einschlafen und bekommen Angst, weshalb sich Eltern mit Nachtlichtern behelfen oder die Tür angelehnt lassen, damit Licht aus dem Flur ins Kinderzimmer hineinfällt. Auch als Erwachsene beschleicht uns manchmal noch Unbehagen, wenn wir nachts alleine sind. Das ist nicht nur kulturell erlernt, das ist ein Urinstinkt. Was im Dunkeln liegt, können wir nicht sehen – und für die meisten Menschen ist das Sehen nun einmal der wichtigste der fünf Sinne – und ist damit unbekannt und geheimnisvoll. „Im Dunkeln ist gut munkeln“ ist ein anderes Sprichwort, das sagt, dass Geheimnisse und Gerüchte sich eben am besten auch nicht vor aller Augen, sondern im Verborgenen streuen lassen. Und möglicherweise ist das Unbekannte im Dunkel sogar bedrohlich. Wie warnte schon einer der Wikinger in John McTiernans Der 13te Krieger den Protagonisten vor den geheimnisvollen Bösewichtern: „Sie kommen nachts, bei Nebel, wenn es am dunkelsten ist!“ Kein Wunder, dass die Abwesenheit von Licht unsere Urinstinkte weckt und uns in Alarmbereitschaft versetzt! Worauf aber das Licht fällt, das ist offenbar und klar, das gibt es und man kann sich vergewissern, dass es ungefährlich ist.
Genau diesen Effekt von geheimnisumwaberter Dunkelheit nutzen seit Jahrhunderten die visuellen Künste. In der Malerei und der Bildhauerei wird damit gespielt, was klar zu erkennen ist und was im Schatten liegt, die Fotografie und der Film haben sich dem angeschlossen. Vor einigen Jahren widmete sogar die Retrospektive der Berlinale – immerhin eines der führenden Filmfestivals der Welt – sich dem Thema „Licht und Schatten“. Der Schatten, die Kehrseite vom Licht, macht etwas geheimnisvoll. Viele Bilder der Weihnachtszeit zeigen den hell erleuchteten Tannenbaum durch einen Türspalt aus dem dunklen Flur: Das Sehen, ohne gesehen zu werden, ist das Spiel mit dem Voyeurismus, birgt ein wohliges Schaudern, den Geheimnisaustausch. Deshalb muss in Kino und Theater der Saal abgedunkelt werden – damit wir in der Dunkelheit in den Traum einsinken und unser Blick sich ganz gefangen nehmen lassen kann. Wir dringen ein in ein Geheimnis, in dem uns immer nur ein neues Stück der Geschichte im Scheinwerferlicht (oder vor der Kameralinse) enthüllt wird. Für die Wirkung visueller Medien ist der wohlüberlegte Einsatz von Licht unabdingbar und elementar.
Beleuchter:innen bei Film und Fernsehen sind nicht nur die Typen, die darauf achten, dass alle was sehen können und es im Zweifel heller machen. Sie sind ein wichtiger Teil der Wahrnehmungssteuerung für die Zuschauer:innen. Niemand käme auf die Idee, es einfach ‚hell‘ zu machen, weil dann alle alles gut sehen können. Das wäre sogar kontraproduktiv! Denn natürlich wollen Regisseur:innen, Autor:innen und Künstler:innen eine bestimmte Geschichte erzählen und dabei verhindern, dass sich das Publikum an etwas anderem ablenkt und natürlich wollen wir als Publikum auch gelenkt werden, damit wir eben genau die Geschichte erleben. Eine gelungene Inszenierung, egal in welchem Medium, ist immer auch ein gelungenes Spiel von Zeigen und Nichtzeigen, von Verstecken und Enthüllen. Das gilt sogar bei solchen Kunstformen, bei denen die Wirkung gar nicht im Sehen liegt: Auch die Literatur lebt schließlich von Auslassungen, die Raum für eigene Vorstellungskraft bietet.
Was für Theater, bildende Kunst und jede andere Form des Geschichtenerzählens geht, gilt folglich genauso und kein bisschen weniger für die museale Ausstellung. Auch hier spielt die richtige – nicht die zwangsläufig taghelle – Ausleuchtung eine elementare Rolle zum Gelingen einer Ausstellungsinszenierung. Die Ausstellenden als Regisseur:innen einer räumlichen Erzählung nutzen das Licht nicht anders als dies ihre Pendants in den Künsten tun. Das Licht bestimmt, mehr noch als die Architektur und die Gestaltungsarbeit, die Stimmung in einer Ausstellung. Und nichts kann die Wirkung einer Ausstellung so stark beeinträchtigen wie schlecht gesetztes Licht: zu dunkel, zu hell oder auf die falschen Stellen fokussiert, helfen die besten Exponate und die schönste Wandabwicklung nicht mehr, die Wirkung ist hin. Na gut, die Exponate als eigentliche Protagonisten reißen es vielleicht doch noch raus, wenn sie selbst wirklich ausdrucksstark sind. Aber das kann die Ausstellungsmacher:innen nicht davor schützen, dass die Ausstellung, ihr Werk, durch falsches Licht seine gewünschte Wirkung verfehlt – statt die Stimmung eines magischen Ortes die einer grellen Lagerhalle oder einer schummrige Rumpelkammer hat. (Es sei denn natürlich, genau so ein Eindruck wäre erwünscht.)
Das Spiel mit Licht und Schatten, mit Blicklenkung und Orientierungssteuerung, ist eines der wichtigsten Werkzeuge in der Trickkiste guter Erzähler:innen. Egal ob sie im Museum, am Theater oder hinter der Kamera arbeiten, ob sie schreiben, malen oder zeichnen. Nicht ohne Grund heißt es am Anfang klassischer Shows „Licht aus, Spot an!“ Wenn Sie das nächste Mal im Theater sitzen oder ins Museum gehen – schauen Sie mal nach oben! Dort verbirgt sich, strahlend hell vor aller Augen, ein wichtiges Geheimnis der Stimmung. Dort finden Sie die Urheber dessen, was Sie im besten Fall einen Schauder des Wohlbefindens und das Kribbeln der Erwartung spüren lässt.
Flemming N. Feß
Flemming N. Feß ist auf seinem Lebensweg schon weit in Deutschland herumgekommen. Im kult Westmünsterland ist er als Kurator für Sonderausstellungen zuständig. Den gebürtigen Schleswig-Holsteiner begeistert alles, was eine spannende Geschichte erzählt. Seine Freizeit verbringt er bevorzugt im Kino – oder mit einem guten Buch. Wenn er sich aber nicht gerade in ferne Welten entführen lässt, erkundet der Medienwissenschaftler und Historiker gerne in guter Gesellschaft unterschiedlichste Craftbeer-Stile. Als Liebhaber von Puppentrick ist er zudem die Hand und Stimme hinter der Sockenpuppe Rock McSock.
