Westmünsterländerin mit Migrationshintergrund

von Annette Menke

Kultur und Leben   Heimat und Region

Im Spannungsfeld zwischen Bochum und Bayern München liebe ich das Leben im Westmünsterland. Warum? Es ist entspannt und doch spannend, die Westmünsterländer:innen gehen zum Lachen in den Keller und haben doch extrem viel Humor, sie sind eher introvertiert und haben doch ein großes Herz. Das ist keine wissenschaftliche Analyse, das ist einfach nur Empfinden und Erlebtes nach 35 Jahren Wohnen und Arbeiten im Münsterland. Eine Anmerkung vorab zum Thema Migration: Meine Erlebnisse und Gedanken sind weit entfernt von Flucht und Vertreibung, von erzwungenem Verlassen der Heimat und ich möchte auch nicht den Eindruck erwecken, das sei in irgendeiner Form das Gleiche. Meine „Wanderschaft“ hatte rein berufliche Gründe, ebenso wie die meiner Vorfahren.

Ich bin eine Berschke, das war das erste, was ich bei meinem Dienstantritt in Vreden gelernt habe. „Du kommst doch aus dem Pott, also bist Du 'ne Berschke.“ Was ist das? Ich hatte diesen Begriff noch nie gehört und ich verstand ihn auch zuerst einmal nicht. Recherchen ergaben dann, dass es sich um die Zuordnung zum Bergischen Land handelt, also bin ich in den Augen der Paohlbürger eine „Bergische“. Bin ich aber nicht. Ich komme aus Bochum, das liegt tief im Westen, wie jeder Grönemeyer-Fan weiß und bergig ist es da nur im Süden der Stadt, da, wo man weit ins Ruhrtal schauen kann. Eine sehr schöne Gegend übrigens. Aber ich schweife ab. Also hier handelt es sich schon einmal um ein fatales Missverständnis – aber macht nichts, Ruhrpott-Kinder haben auch Humor. Und den brauchen wir auch als Einwander:innen, Bergleute und / oder Bergmannskinder.

Die Tatsache, dass die Einwohnerzahl der Stadt Bochum von 8797 im Jahr 1858 auf 117.000 im Jahr 1904 anstieg, ist bekanntermaßen nur zu einem winzigen Teil der Eingemeindung von kleinen umliegenden Dörfern zuzuschreiben, zu denen übrigens auch Wiemelhausen gehörte, der Stadtteil in dem ich meine ersten Lebensjahre verbrachte. Zuzügler, Arbeitsmigranten aus ganz Deutschland und vor allem aus dem Osten machten den großen Teil der Bochumer Neubürger aus. Auch die Familie meines Vaters hatte Vorfahren im heutigen Polen. Sie kamen wohl aus Schlesien, das zu der Zeit zum Deutschen Reich gehörte. Sie kamen als Arbeitsmigranten, die sich im Steinkohlerevier mit dort bereits ansässiger Bevölkerung mischten. Wer nun genau woher kam, ließ sich zu Zeiten des Eisernen Vorhanges nicht herausfinden - und für mich persönlich war es nie von großem Interesse.Ich wurde in Bochum geboren, habe in Wanne-Eickel gelebt und meine Jugend in Ostwestfalen-Lippe verbracht. Nach dem Studium in Münster ging es dann immer weiter in den Westen. Ich fand es erstaunlich, wie groß die kulturellen Unterschiede auf einem so kleinen Gebiet sein können – es gibt sprachliche Unterschiede, „Nationalgerichte“, spezielle Arten zu feiern. Man muss nicht von „weit her“ eingewandert sein – auch eine „Berschke“ hat schon einen Migrationshintergrund, da hätte es der Vorfahren aus dem Osten nun wirklich nicht bedurft.

Übrigens: in unserer heimischen Küche geht es international zu. Es gib Panhas und Grünkohl wie im Ruhrgebiet, Pickert, Wurstebrei und Kohlwurst aus dem Lippischen und Töttchen, Schinken und Pumpernickel aus dem Münsterland. Doch der heimliche Favorit ist immer noch Currywurst-Pommes-Schranke (natürlich die Kultwurst aus Bochum). Dann bin ich wohl doch eine „Berschke“?

Annette Menke

„Bochum ich komm aus Dir“ und „… Stern des Südens“ sind die Pole, zwischen denen sich Annette Menke bewegt. Die promovierte Kunsthistorikerin ist seit über dreißig Jahren Museumsfrau mit Leib und Seele. Als Inklusionsbeauftragte kümmert sie sich außerdem um die Belange von Besucher:innen mit besonderen Bedürfnissen. Die Hobbyköchin liebt Musik, Bücher, Reisen und das Leben im Münsterland.

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