
Kürzlich habe ich mir einmal mehr – das kommt leider immer öfter vor – Gedanken über das Alter und das Altern gemacht. Solchen Überlegungen gehen bei mir eigentlich immer beeinflussende Ereignisse voraus. In diesem Fall war es der Rücken, der beim Aufstehen nicht mehr das gemacht hat, was dessen Besitzer eigentlich von ihm verlangt (und erwartet).In solchen Momenten schwelgt man gern in Erinnerungen. Wie einfach war der Aufstehprozess doch früher: 6 Uhr, der Wecker klingelt, man schwingt sich elanvoll aus dem Bett, nur um umgehend die Stereoanlage (ja, so etwas gab es noch und nein, man konnte diese nicht mit einem einfach zugerufenen „Alexa“, „Siri“ oder „Hello Google“ aktivieren) anzuschalten, um sich von Musik zumindest die Laune auf den bevorstehenden Schultag verbessern zu lassen. Was hörte man damals: U2 Achtung Baby, Red Hot Chili Peppers Blood, Sugar, Sex, Magic, Metallica Black Album, Guns N‘ Roses‘ Doppelalbum Use Your Illusion, oder, oder, oder. Die Tatsache, dass alle genannten Alben aus dem berühmten Jahr 1991 stammen, einem Meilenstein der Rock- und Pop-Geschichte, sei hier nur am Rande erwähnt und wäre eventuell auch einmal ein Thema für einen der nächsten Artikel.
Zunächst aber mit Rückenschmerzen zurück ins Hier und Jetzt. Man(n) steht also mehr schlecht als recht auf und in Erinnerung an frühere Tage verlangt man von seiner digitalen Unterstützung die sofortige Wiedergabe des Albums Achtung Baby. Was dann passiert ist allerdings mehr als kurios: Schon die Ansage irritiert: „Wiedergabe des Albums: Achtung Baby – the 30th Anniversary Edition von U2“. Ich sitze auf der Bettkante und lasse das eben Gehörte zusammen mit der Musik auf mich wirken. 30 Jahre – unmöglich, das kann nicht sein! Das habe ich doch gerade erst vor Kurzem zusammen mit Schulfreunden auf der Studienfahrt nach Berlin gehört – da muss doch ein Fehler vorliegen!
Da man der digitalen Realität ja nicht immer Glauben schenken soll, fange ich an zu recherchieren: Das Originalalbum kam im November 1991 heraus. 2011 erschien die 20th Anniversary Edition und dann sogar 2021 die Jubiläumsausgabe zum 30. Geburtstag. Es kursieren also mittlerweile drei Versionen dieses Albums, die einem direkt und schonungslos klarmachen, dass man halt doch nicht eben gerade noch auf Studienfahrt mit der Schule war.
Während sich der eigene Rücken dann wieder langsam erholt, fange ich an, mein Leben einmal musikalisch Revue passieren zu lassen und mache dabei die erstaunliche Entdeckung, dass es – neben den Jahren – auch eine musikalische Art gibt, die eigenen Lebensabschnitte zu definieren. Kindheit (Die drei ???), frühe Jugend (Depeche Mode, NDW, KISS), Pubertät (RATM, Nirvana, Metallica), Studium (Fatboy Slim, Brit Pop).Wissenschaftler:innen gehen ja davon aus, dass sich der Musikgeschmack in der Jugend/Pubertät entwickelt und dann nur noch relativ wenig ändert … Das kann ich bestätigen. Und ebenso, wie die meisten Menschen in Streaming-Portalen am Ende doch wieder bei lange bekannten Serien wie Friends landen, so lande ich immer wieder bei der Musik meiner Jugend. Glücklicherweise sind noch nicht alle Helden der 80er und 90er gestorben, sodass man sich wenigstens der Illusion hingeben kann, doch irgendwie nicht in der Vergangenheit zu leben.
Aber noch einmal zu meiner Entdeckung: So eine neue Art der Altersangabe hätte ja auch einen eigenen Charme. Ein tabellarischer Lebenslauf würde dann ungefähr so aussehen: Ich wurde geboren zu Zeiten von Alice Coopers Million Dollar Babies (im Übrigen gab es von diesem Album 2001 ebenfalls eine Deluxe Edition). Mein Abitur legte ich zu Zeiten von Aerosmith‘ Get A Grip ab, und so weiter und so weiter. Durchaus einmal ein ganz neuer Ansatz und eventuell die Möglichkeit, bei Gesprächen mit Kolleg:innen ganz nebenbei auch neue Musik und Künstler:innen für sich zu entdecken. In diesem Sinne: „Alexa, spiel das Album Achtung Baby!“
Gregor Greve
Nach verschiedenen Stationen an deutschen Museen hat es den gebürtigen Kieler ins Münsterland verschlagen. Neben der Betrachtung und Analyse guter Filme ist das Filmemachen eine seiner Leidenschaften. So ist es nicht verwunderlich, dass der Anglist und Medienwissenschaftler der Mann hinter der Kamera des kult-YouTube-Stars Rock McSock ist. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit dem Sammeln (und Spielen) von E-Gitarren, der Unterstützung seines Heimatvereins Holstein Kiel und Konzertbesuchen verschiedenster Stilrichtungen.

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